Ist die Dampfe wirklich sicher vor der Apotheke?

Vorab, bevor gleich viele wegen der Clickbait Überschrift direkt Schnappatmung bekommen:

Ich denke nicht, dass uns kurz- bis mittelfristig da in Deutschland eine reale Gefahr droht.

Ich möchte aber das eine oder andere zu dem Thema anmerken 🙂 . Vor allem, weil ich langfristig diesen Weg mittlerweile als wahrscheinlich sehe.

Und das wollte ich eigentlich schon 2021 tun, aber wie das bei mir so oft passiert: Andere Dinge im Leben waren wichtiger, und dann lag der Artikel 2 Jahre halb fertig herum.

Immer wieder gab es Pläne, die E-Zigarette in die Apotheke zu stecken. Also dorthin, wo andere „Nikotinersatzprodukte“ bereits sind. Und es ist uns allen hoffentlich auch klar, dass zumindest in den USA mit Hale von Hava Health ein Produkt zur FDA Zulassung angekündigt war, das man eigentlich als klassische Dampfe einstufen kann. Es wurde sehr still darum, aber das hat nichts zu bedeuten. Eine solche Zulassung kann viele Jahre dauern.

Auch UK hat mittlerweile den Weg freigemacht, um E-Zigaretten als „Hilfsmittel“ bzw „Arzneimittel“ zugelassen zu bekommen. (15).

Und in Schottland fordern Verbände mittlerweile ganz offen eine generelle Apothekenpflicht. (18)

In Australien haben wir aktuell vor Augen, wie schlecht ein „prescription only Modell“ real funktioniert. Wobei man dort über die Apothekenpflicht hinaus sogar den Weg zur Verschreibungspflicht gegangen ist.

Basics

Zwischen 2012 und 2014 gab es dazu bereits einen Rechtsstreit, der mit dem Urteil vom 20.11.2014 – BVerwG 3 C 25.13 (1) zu Ende ging und in dem eine Apothekenpflicht und Einstufung als Arzneimittel verneint wurde. Davor haben sich schon VG Düsseldorf – 10.10.2012 – AZ: VG 16 K 2585/12 (21) und OVG Münster – 17.09.2013 – AZ: OVG 13 A 2448/12 (22) mit dem Thema befasst.

Das Ergebnis des Verfahrens ist dabei sogar fast unwichtiger als die Begründung. Zumindest wenn es um die Zukunft und die Möglichkeit einer Zulassung als Medizinprodukt/Arzneimittel geht.

Ich liste mal ein paar von den Gründen auf, wieso man damals als BVerwG keine Apothekenpflicht festgestellt hat.

  • Weder die Herstellerin noch die Klägerin würden die Liquids und die zugehörige E-Zigarette als Mittel zur Heilung, Linderung oder Verhütung der Nikotin- oder Tabaksucht vermarkten.

=> Das ist heute teilweise anders. So mancher Marktteilnehmer weist selbst aktiv darauf hin, dass die E-Zigarette sehr wohl zum Rauchstopp taugt. Was ja auch richtig ist! (8)

  • Des Weiteren hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Liquids nicht geeignet sind, zu therapeutischen Zwecken eingesetzt zu werden.
  • Schließlich ist den streitigen Liquids auch nicht deshalb eine therapeutische Eignung beizumessen, weil Erzeugnisse wie Nikotinpflaster oder der „Nicorette Inhaler“ als Arzneimittel eingestuft (und zugelassen) sind. Grundlage für die Qualifizierung dieser Nikotinersatzpräparate als Arzneimittel ist ihr Anspruch und ihre objektive Bestimmung, zur Rauchentwöhnung angewendet zu werden.
  • Einen solchen therapeutischen Nutzen weisen die von der Klägerin vertriebenen Liquids nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht auf. Es hat angenommen, dass sich die Eignung der E-Zigarette als Mittel zur Erreichung eines Rauchstopps und zur Behandlung der Nikotinsucht mit dem Ziel der Entwöhnung wissenschaftlich nicht belegen lässt.
Und genau an dem Punkt gab es seitdem einiges an Änderungen der wissenschaftlichen Lage!

Mittlerweile gibt es eine kaum noch zu ignorierende Anzahl an Studien, die belegen, was die meisten Leser hier schon lange wissen: E-Zigaretten und dampfen hilft sehr wohl dabei, mit dem Rauchen aufzuhören.

Ich spare es mir hier, diese alle aufzulisten. Ich verweise nur auf die Cochrane Auswertung dazu. (7)

Diese sollte eigentlich reichen, um zu zeigen, dass es da ein Umdenken gab, das auch wissenschaftlich belegbar ist. So man das denn will!

UK

In UK hat man jetzt entschieden, dass man in Zukunft zugelassene E-Zigaretten/Liquids auf Rezept ermöglichen will. (9) Ich möchte aber darauf hinweisen, dass es sich hier NICHT um normale E-Zigaretten/Liquids aus dem aktuellen Dampfwarenfachhandel dreht, sondern um welche, die als Medizinprodukte bzw. Arzneimittel zugelassen sein müssen! (10)

Wir reden hier auch von getrennten Zulassungen von Hardware und Liquids, so es keine Einwegprodukte sind und dass auch ausdrücklich offene Systeme möglich sind!

Und ein solches Zulassungsverfahren ist nicht nur SEHR teuer, sondern zieht auch eine Menge andere Folgen nach sich, wie das im Medizinprodukt/Arzeimittelbereich immer der Fall ist. Das Verbot von Cross-Marketing über zugelassene Medizinprodukte auf nicht zugelassene Sorten z. B. durch Verwendung des gleichen Markennamens wäre da ein Punkt, der zu erwähnen wäre. Haftungsfragen, Nachverfolgbarkeit der Produkte, einzuhaltende Qualitätsstandards, Zertifizierungen der gesamten Lieferkette und die notwendigen Ausbildungen der Verkäufer kommen noch dazu.

Nur die Tabak- und/oder Pharmaindustrie sind wohl dazu in der Lage, diesen Weg zu gehen.

Verschreibungspflicht/Apothekenpflicht in D

Es wird ja gerne damit argumentiert, dass Nikotinpflaster und Kaugummis nicht apothekenpflichtig seien. Es sei die freie Wahl der Hersteller, nur über selbige zu verkaufen.

Das mag so stimmen, aber eben nur für Pflaster und Kaugummis!

Der Grund liegt dabei in der langsamen Abgabe des Nikotins, wodurch das Erreichen eines „Highs“ fast ausgeschlossen ist.

Nikotinsprays mit PG, Ethanol, VG, Aromen plus Hilfsstoffen als Inhalt (das kommt uns doch irgendwie bekannt vor oder?) sind dagegen sehr wohl apothekenpflichtige Arzneimittel (6) mit einer solchen Zulassung.

Und ab 64 mg Nikotin empfohlener Höchstdosierung am Tag sind sie sogar verschreibungspflichtig. Das wird z.b. mit 2 Vuse Pods am Tag, die 1,9 ml mit 18 mg/ml enthalten, schon überschritten.

Allein daran sehen wir, dass wir damals 2012-2014 aufgrund der damaligen Studienlage der Apothekenpflicht nur knapp entkommen sind. Ob das Urteil auch so ausgefallen wäre, wenn man gewusst hätte, was man heute weiß?

Ich vermute, mit dem Wissen von heute wäre das anders ausgegangen.

Ich übersehe ebenfalls nicht, dass als Beispiel ein der US Juul ähnliches (!!) System mit 60mg/ml Pods und TC Modus der Dryhits verhindert, sehr wohl ein Produkt ist, das man auch in D via Arznei/Medizinproduktzulassung auf den Markt bringen könnte. Ich verwende hier wissentlich die Juul als Beispiel, weil man genau weiß, dass diese als Umsteigersystem in der US Version sehr gut funktioniert (hat).

Auch der „Schutz von 3rd Party Pods“, der in kommenden Versionen eingebaut werden sollte, wäre ein Feature, das bei einer Zulassung sicher gerne gesehen werden wird.

Die 20mg/ml Grenze der TPD2 greift übrigens nicht für Arzneimittel. (11) Zitat „Elektronische Zigaretten und Nachfüllbehälter sollten durch diese Richtlinie reguliert werden, es sei denn, sie fallen aufgrund ihrer Bestimmung oder Funktion unter die Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (12) oder die Richtlinie 93/42/EWG des Rates“ (13).

Es wäre also schon möglich, ein der 60mg/ml Juul ähnliches Gerät hier so auf den Markt zu bekommen, welches Raucher sehr gut abholt. Das wäre aber apothekenpflichtig 🙂 .

Und ab dem Tag, an dem es das hier gibt, sehe ich eine massive Gefahr, dass der freie Markt komplett wegreguliert wird.

Es gibt dann ja eine „zugelassene und sichere“ Alternative.

Die auch nicht in solchen Designs herkommt:

Australien

Australien ist aktuell das bekannteste Land, in dem nikotinhaltige Liquids rein über verschreibungspflichtige Abgabe reguliert sind. (15)

Und hier sehen wir, wie toll das funktioniert.

In meinem Artikel zum Weltnichtrauchertag hatte ich das auch am Rande erwähnt.

Wer sich die Preise anschaut, weiss auch direkt, wieso dieses Modell bei gewissen Kreisen beliebt ist. (17)

Mit knapp 250$ für 12 Pods, die je 1,5ml enthalten, hat man es da mit einer Gelddruckmaschine zu tun, so man am Markt damit Erfolg hätte. Dazu wäre es aber nötig, den Schwarzmarkt erfolgreich zu unterbinden. (17) Was bei Margen, die im Bereich von Heroin oder Kokain liegen, praktisch kaum möglich sein dürfte. Eine 2-3$ Einweg-Vape (Großhandelspreis in China) wird dort für 30-40$ erfolgreich an den Kunden gebracht. Wieso? Weil Kippen noch teurer sind!

Da haben wir übrigens auch den Grund, wieso THR mittels Einweg in D scheitert. Es ist teurer als Kippen.

Andere Länder mit Verschreibungspflicht

Süd Afrika hat auf dem Papier genau wie Ghana eine Verschreibungspflicht für nikotinhaltige Modelle. Und ähnlich wie in Australien wird man dem Schwarzmarkt nicht herr. Ob es dort überhaupt die Möglichkeit gibt, wirklich mittel Rezept an nikotinhaltige Flüssigkeiten zu kommen, ist mir nicht klar.

Aktuell bereitet sich Südafrika auf eine Besteuerung in Höhe von ca. 15 Cent pro ml (mit und ohne Nikotin) vor. Und das, obwohl zumindest nikotinhaltige Produkte nach wie vor nicht legal rezeptfrei verkauft werden dürften.

THR

Im Sinne der Tobacco Harm Reduction wäre eine Apothekenpflicht übrigens nicht wirklich ein Hindernis. (19) Zumindest bei freiem Verkauf in alle Apotheken hätte man ein Handelsnetz, das den „Dampfwarenfachgeschäften“ in nichts nachstehen würde.

Wenn wir dazu noch ehrlich zu uns sind: Es braucht keine 1000 verschiedenen Dampfaromen, um erfolgreich umzusteigen. Das haben wir klar und deutlich 2016-2019 in den USA am Beispiel Juul gesehen. Die haben mit 2 Handvoll Sorten den Markt aufgerollt. Eine „ausreichende“ Auswahl von „ausreichend“ guten Geschmacksrichtungen reichen den meisten Konsumenten aus.

Und solange das Ziel heißt, dass man Raucher von den tödlichen Kippen wegbekommen möchte, solange stören Apotheken anstelle von Dampfshops wenig.

Das „Lifestyle Produkt“ Dampfe mit hippen Videos und krassen Comicfiguren auf Flaschen, die teils nicht mal ansatzweise der Regulierung entsprechen, wäre dann aber natürlich vorbei.

Genussmittel?

Was aber, wenn wir das Dampfen gar nicht als „Ausstiegsmittel“ im Sinne der THR sehen wollen?

Man muss dazu ehrlich sagen, dass ein großer Teil der Nutzer das Dampfen primär als Hilfsmittel auf dem Weg zur kompletten Nikotinabstinenz sieht.

Das ist aber eine Ansicht, die in der Blase weniger anzutreffen ist. Dort sieht man das Dampfen als Genussmittel. (20)

Und diese Sichtweise hat auch ihre Legitimation!

Mit dieser Sicht wird man eine potenzielle Apothekenpflicht natürlich pauschal und rigoros ablehnen. Genau wie das der Handel tun wird. Dieser verbreitet zwar nach außen gerne, wie sehr man sich für THR einsetzt, aber real wirkt das auch auf mich bei vielen eher wie ein Feigenblatt. Was man beim aktuellen Einwegthema wunderbar sieht.

Und nur damit es klar ist: Ich lehne eine Apothekenpflicht auch ab!

Wenn man das Dampfen aber als Genussmittel gesellschaftsfähig bekommen möchte, dann muss die ganze Branche das Thema anders angehen.

Ein Vorgehen, wie wir es seit Jahren erleben und bei dem man sich der Regulierung so gut wie legal möglich (und oft auch drüber hinaus) entzieht, wäre dabei nicht hilfreich.

Man müsste auch selbst Studien und seriöse Marktbeobachtungen auf den Weg bringen und die schwarzen Schafe der Branche in den Griff bekommen.

Aber der Zug ist zumindest in der EU wohl abgefahren.

Solange da kein Umdenken von Seiten der EU käme, das eine Neueinstufung erzeugt, bleiben wir in der Tabakregulierung drin.

Das kann man jetzt gut oder schlecht finden. Es ist einfach so.

Leider zeigen relevante Teile der Branche und Verbände gerade, dass es ihnen nur ums Geld geht. Da wird illegal beworben, es werden im Gegenzug zu ein paar Bildern und #beschde Posts und Videos kostenlose Produkte verschickt. Und das nicht nur aus China, sondern auch von deutschen Herstellern. Einwegs werden auch gezielt an Kinder beworben. Der Altersschutz greift kaum noch in der Praxis.

Glaubt wirklich jemand, dass man so erfolgreich als Genussmittel anerkannt werden wird?

Ich wünsche allen noch einen schönen Tag

(1) https://www.bverwg.de/201114U3C25.13.0

(2) https://openjur.de/u/554602.html

(3) https://openjur.de/u/647311.html

(4) https://www.sciencedaily.com/releases/2021/03/210310122600.htm

(5) https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/add.15474

(6) https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Gremien/Verschreibungspflicht/67Sitzung/anlage1.pdf

(7) https://www.cochrane.org/CD010216/TOBACCO_can-electronic-cigarettes-help-people-stop-smoking-and-do-they-have-any-unwanted-effects-when-used

(8) https://web.archive.org/web/20211102134903/https://www.innocigs.com/blog/e-zigaretten-studie-2021/

(9) https://www.egarage.de/durchbruch-briten-verteilen-gratis-e-zigaretten-auf-rezept/

(10) https://www.gov.uk/guidance/licensing-procedure-for-electronic-cigarettes-as-medicines

(11) https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014L0040

(12) Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311vom 28.11.2001, S. 67)

(13) Richtlinie 93/42/EWRichtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. L 169 vom 12.7.1993, S. 1)

(14) https://www.gov.uk/guidance/licensing-procedure-for-electronic-cigarettes-as-medicines

(15) https://www.tga.gov.au/resources/resource/guidance/nicotine-vaping-products-information-prescribers

(16) https://thelatch.com.au/how-much-prescription-vape/

(17) https://95bfm.com/news/australian-vape-ban-encourages-black-market-sales-according-to-expert

(18) https://twitter.com/ASHScotland/status/1675788391886082048

(19) https://en.wikipedia.org/wiki/Tobacco_harm_reduction

(20) https://de.wikipedia.org/wiki/Genussmittel

(21) https://openjur.de/u/554602.html

(22) https://openjur.de/u/647311.html